Wie lässt sich Doping verhindern? Was bewegt Amateur-Sportler dazu, zu verbotenen Mitteln zu greifen? Und ist Doping nur die logische Folge in einer Kultur, die nach immer Höherem strebt? Auf diese Fragen versuchen wir einige Antworten und Ansätze zu finden – durch ein Gespräch mit Tuspos Elite-Fahrer Yannick Sinske und einem Experten im Themenbereich Sport und Gesellschaft: Dr. Arne Göring.
Vielen Dank für eure Zeit, Yannick und Arne. Der Begriff „Leistungsgesellschaft“ ist in aller Munde. Welchen Zusammenhang seht ihr zwischen den Schlagworten „Gesellschaft“ und „Doping“?
Yannick Sinske: „Aus meiner Sicht ist Doping kein sportliches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Denn wir sind als Gesellschaft dabei, uns immer weiter zu optimieren. Inzwischen wird sogar die Freizeit durchgetaktet; zugleich werden in der Werbung Mittel wie zum Beispiel Schmerztabletten angepriesen. Aufgrund dieser beiden Umstände sinkt die Hemmschwelle, zu solchen Substanzen zu greifen, drastisch. In vielen Momenten sieht man gar nicht, dass das, was man tut, Doping ist – oder als solches angesehen werden kann.“
Arne Göring: „Das Thema Selbstoptimierung ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Und damit vielfältige Formen der Leistungssteigerung: Das fängt bei Red-Bull-Getränken zum Aufpushen an und hört bei Medikamenten auf. Menschen werden bei kleinsten Wehwehchen mit Ibuprofen versorgt. Kindern, die Aufmerksamkeitsdefizite zu haben scheinen, geben wir wie selbstverständlich Ritalin. In Studien geben bis zu fünf Prozent der Studierenden an, Medikamente einzunehmen, um ihr Studium besser bewältigen zu können – z.B. Neurostimulanzien, die die Konzentrationsfähigkeit erhöhen.“
Ihr sprecht von „Optimierung“. Ist das nicht zu kurzfristig gedacht? Wie kann man bei Mitteln, die Nebenwirkungen und Langzeitfolgen haben, von Optimierung sprechen?
A.G.: „Wir tun uns als Menschen sehr schwer damit, Spätfolgen und langfristige Zusammenhänge zu erfassen. Das gilt für Doping ebenso wie beispielsweise für Zusammenhänge im Bereich Umwelt. Folgen sind für uns oft schwer abzusehen, und manche Personen wollen sie vielleicht auch gar nicht sehen. Erkläre zum Beispiel mal einem Hochleistungssportler, der Dopingmittel nimmt, dass er, wenn er 60 Jahre alt ist, Probleme beim Wasserlassen haben wird oder sein Krebsrisiko steigt…“
Zu diesem Aspekt gibt es eine ziemlich schockierende Studie: Ihr zufolge würde die Hälfte aller Hochleistungssportler es in Kauf nehmen, innerhalb von fünf Jahren zu sterben, wenn die Einnahme eines Dopingmittels eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen garantieren würde. Im Profisport hört man oft von Doping, und manche Sportler rechtfertigen ihr Vergehen durch „Existenzängste“. Was aber veranlasst eurer Meinung nach Amateur-Sportler dazu, zu verbotenen Mitteln zu greifen?
Y.S.: „Ich sehe eine große Gefahr durch die Vorbilder, die medial auftreten. Denn durch sie entsteht der Eindruck, dass es gängige Praxis sei, zu dopen. Das bringt Amateur-Sportler natürlich in Versuchung, es ihren Vorbildern gleichzutun. Sie werden anfälliger dafür, verbotene Substanzen zu nehmen, weil sie ihr Verhalten mit dem Argument „Es macht ja eh jeder“ rechtfertigen.
A.G.: „Und weil Sportler sich moralisch genau auf diese Weise rechtfertigen, fällt der Schritt, verbotene Mittel zu nehmen, vermutlich ziemlich leicht. Die allgemeine Argumentation ist natürlich ähnlich wie im Profi-Bereich: „Ich will gewinnen. Ich will, dass sich mein Training auszahlt.“ In den allermeisten Fällen hat das mit dem Ego, mit Leistungsbezug, mit Selbstwirksamkeitserwartung und Egozentrik zu tun.“
Einige Personen plädieren für eine Dopingfreigabe. Was würdest du, Arne, dem entgegen halten?
A.G.: „Ich glaube, dass das ein ganz verheerendes Signal für den Kinder- und Jugendsport wäre. Man würde im Hinblick auf das Thema „Gesundheit“ in die Bredouille kommen. Mit einer Freigabe kommt man meiner Meinung nach nicht weiter.“
Und wie lassen sich eurer Meinung nach Dopingfälle vermeiden?
A.G.: „Es muss sich gegenüber Dopern eine gesellschaftliche Ächtung entwickeln. Zudem darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass man mit einer geringen Strafe davonkommen würde. Ich glaube sogar, dass sich Doping langfristig nur vermeiden lässt, wenn es drastischere Strafen gibt. Müsste man damit rechnen, eine große Strafe zu erhalten, wenn man des Dopings überführt wird, würde es ein Umdenken geben. Aber auch Sponsoren haben einen Einfluss, indem sie sich klar positionieren und deutlich machen, dass sie ein bestimmtes Verhalten nicht mittragen wollen.“
Y. S.: „Doping lässt sich entgegenwirken, indem man Vergehen in den Fokus rückt und lückenlos aufklärt. Ich habe die Hoffnung, dass, indem man Doping-Fälle öffentlich anprangert, die Hemmschwelle, zu dopen, wieder heraufgesetzt wird. Wenn man weiß, dass Dopingsünder in den Fokus gerückt werden, wird es noch unattraktiver, zu dopen.“
Grundvoraussetzung dafür wäre ein offener Umgang mit dem Tabu-Thema. Offiziellen Stellen wird bisweilen mangelnde Transparenz vorgeworfen, Kritiker sprechen gar von einer „Verschleierungstaktik“…
Y.S.: Es ist meiner Meinung nach kritisch, wie sich BDR und UCI verhalten. Es entsteht bei mir der Eindruck, dass sie nicht aufklären wollen. Vertuschen ist aber genau das, was dem Radsport nachhängt und was immer wieder Zweifler auf den Plan ruft. Aus Sicht des Vereins betrachtet, sehe ich einen ganz offensiven Umgang mit dem Thema zumindest als moralische Pflicht an. Gerade, wenn man sich mit großer Nachwuchsarbeit brüstet.
Der Trend unserer Leistungsgesellschaft zu kurzfristiger Selbstoptimierung wird vermutlich immer weiter voranschreiten, oder?
A.G.: „Das stimmt. Aber der Sport hat die Möglichkeit, Sauberkeit zu inszenieren.“
Vielen Dank für das Gespräch.
(Interview: Timo / Fotos: Frank Mölders & DAV)
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Zum Artikel „Doping ist kein Kavaliersdelikt“
Ein Beitrag zur Fragestellung „Wo genau beginnt eigentlich Doping?“ soll noch folgen.