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Die Prüfung: 24 Stunden fahren!

Sind Sie schon einmal 20 Stunden am Stück Fahrrad gefahren? Haben Sie irgendwann einmal 30 Euro für Verpflegung an der Tankstelle gelassen? Sind Sie je Brocken und Kyffhäuser an einem Tag hinauf geradelt? Und haben Sie schon einmal in einer Sparkasse übernachtet?

Fünf Tusporaner können all diese Fragen seit ihrer erfolgreichen Teilnahme an der Radsternfahrt Fleche Allemagne mit „ja“ beantworten. In Göttingen gestartet, legte das Quintett in 24 Stunden mehr als 400 Kilometer und 4000 Höhenmeter zurück, um das ultimative Ziel ihres Ultramarathons zu erreichen: die Wartburg in Eisenach, welche den Mittelpunkt Deutschlands und damit den Endpunkt der renommierten Radsternfahrt bildet.

Fleche3Die Rahmenbedingungen der Fleche Allemagne, die im zweijährigen Rhythmus ausgetragen wird, sind klar definiert: Mindestens 360 Kilometer. Mindestens drei Finisher eines Teams. Start um 9 Uhr morgens. Zielschluss um 9 Uhr am Morgen darauf.
Und in den Stunden dazwischen, da schreibt eben jedes Team seine ganz eigene Geschichte. Um dann, nach 24 Stunden, die letzte Hürde der Extremfahrt auf sich zu nehmen: die Kopfsteinpflasterpassage hinauf zur Wartburg, die aufgrund von Steigungen jenseits der 20 Prozent selbst emsigste Pedaleure zum Absteigen zwingt.

Unter den Tusporanern – namentlich Ini, Klaus-Peter, Guido, Frieder und Timo – hatte die optimale Strecke nach Eisenach bereits im Vorhinein für Gesprächsstoff gesorgt. Während der Fahrt wiederum, da sorgte die optimale Tourstrategie für Gesprächsstoff: Die Tour als Kriterium fahren und an jedem Ortsschild um Punkte sprinten? Andere Tusporaner als „Hasen“ einspannen, die auf den ersten 100 Kilometern Windschatten spenden, um sie dann wieder nach Hause zu schicken? Lange taktieren, um es schlussendlich allein auf den Spurt zur Wartburg ankommen zu lassen? – Es bestand ausreichend Zeit, witzelnd über all diese Varianten nachzudenken.

Fleche 2Im leichten Regen und nach einem Plattfuß zu Beginn übernahm Frieder den Großteil der Führungsarbeit, während der Tuspo-Zug über Seesen nach Wernigerode gelangte, wo mit dem Brocken der erste Brocken des Tages bevorstand. Bereitete der Anstieg kräftemäßig wenig Probleme, so ließ die Motivation während der Bergauffahrt  zu wünschen übrig: Schließlich gelangt man nur über die Brockenstraße auf den 1143 Meter hohen Gipfel des Brockens – und muss den selben Weg auch wieder hinunter. „Warum strampeln, wenn man auch einfach unten auf die anderen warten könnte?“, flüsterte die kritische innere Stimme, die die Tusporaner während der gesamten Tour begleiten sollte – und auch in der Folge immer wieder unangenehme Fragen stellte: „Warum mache ich das eigentlich?“ „Ist das eigentlich gesund?“, „Wer zum Teufel hat sich das ausgedacht?“, „Und wer zum Teufel kam eigentlich auf die Idee, die 400 Kilometer mit 4000 Höhenmetern zu würzen, wenn das doch eigentlich gar nicht nötig ist?“

Fleche4Spätestens die Weiterfahrt in Richtung Kyffhäuser ließ jedoch all die kritischen Stimmen verstummen: Einem Seeadler gleich schwebte die Tuspo-Crew über den Asphalt, pedalierte wie in Trance, und bemerkte keine Anstrengung, als sie bei 40 Stundenkilometern mit Rückenwind zum zweiten Anstieg des Tages glitt. Nach zwölf Stunden Fahrzeit war der Kyffhäuser mit seinen bekannten 35 Kurven erreicht. Nachdem auch dieser Brocken bezwungen war, hangelten sich die Blau-Weißen bei zunehmender Dunkelheit von Tankstelle zu Tankstelle. Und dort wurden im Verlauf der Fahrt mit Sicherheit insgesamt mehr als 150 Euro gelassen. Wahrlich günstig war demgegenüber der Mitternachtsdöner, der in Erfurt verspeist wurde.

Fleche5Weil die Tuspo-Fraktion gut in der Zeit lag, Guido und Klaus-Peter exzellent navigierten, und Ini trotz einigen ganz kurzen Gedanken ans Aufgeben wacker weiterpedalierte, konnten sich die Radsportliebhaber  nach weiteren 40 Kilometern gar den Luxus erlauben, für eine Stunde in einer Sparkasse ein Nickerchen einzulegen. Wobei zu vermuten steht, dass der gute Herr, der nachts um vier Uhr eben diese Sparkasse betrat, um Geld abzuheben, die Szenerie, die sich ihm eröffnete, als Fata Morgana abgetan haben wird: Fünf Rennräder, fünf Radfahrer, schlafend auf dem Fußboden – das dürfte selbst in der Nacht nach Himmelfahrt und etwaigen Saufeskapaden zu viel des Guten gewesen sein.

Fleche 6Um fünf Uhr morgens nahm das Göttinger Quintett schließlich die letzten 75 Kilometer in Angriff – und lernte vom Langdistanzexperten Klaus-Peter, dass Brevet übersetzt „Prüfung“ heißt. Und eine Prüfung, das war diese Sternfahrt allemal: Eine Prüfung des Teamgeistes, eine des Durchhaltevermögens, und auch eine Prüfung für den Körper. Wobei diese ungewohnt lange Tour paradoxerweise nicht für die Beine zur Prüfung avancierte, sondern vielmehr für Nacken, Schulter, Arme, Finger, Gesäß – und, insbesondere des Nachts, auch für die Augenlider.

Die letzten Kilometer waren müßig, weil es stets auf und ab ging. Entschädigung dafür verschaffte ein idyllischer See, an dem die Tusporaner vorbeipedalierten, kurz bevor sie die Burg in Eisenach erreichten und sich anschließend in den Zug zurück nach Göttingen setzten. Auf dem See, dort könne man doch nach dem Rennen wunderbar zur Entspannung Boot fahren – so lautete die einhellige Meinung der Fleche-Teilnehmer. Nur würden sie, auch darin waren sich die Tusporaner einig, nach knapp 24 Stunden Radfahren in keinem Fall in ein Tretboot steigen…